Dienstag, 28. April 2009

Die Finanzkrise und ihre Ursachen

Ein guter Artikel zur Finanzkrise, zur schlechten Figur, die (aus meiner Sicht erwartungsgemäß) die herrschende ökonomische Lehre in dieser gemacht hat und immer noch macht, zu den falschen Lösungsansätzen, die gegenwärtig von der Regierung diskutiert und umgesetzt werden, und zu den wahren Ursachen der Krise findet sich in der FTD: »Der Trugschluss nach der Fehlannahme« von Lucas Zeise. Zitat:
»Weil weder Gutachter noch Regierung den Ausfall dieser gewaltigen Nachfrage als Krisenursache sehen, können oder wollen sie nicht darüber nachdenken, wie diese Lücke gefüllt werden soll. Solche Gedanken würden ja – horribile dictu – die Überlegung nahelegen, ob der Konsum nicht durch eine dauerhaft stärkere Einkommensentwicklung bei Geringverdienern und damit durch eine höhere Massenkaufkraft stabilisiert werden könnte oder, besser, müsste.«
Und:
»Wenn die Banken zugleich restriktiver werden, hat das weniger mit ihrer Bilanzschwäche als mit der erwarteten Zunahme der Pleiten und Kreditausfälle zu tun. Auch wenn der Staat sie jetzt mit Wohltaten überhäuft, werden sie aus nachvollziehbaren Gründen ihre Kreditvergabe so lange nicht ausweiten, wie sich die Geschäftsaussichten ihrer Kundschaft nicht merklich verbessern.«
Prädikat: Besonders lesenswert!

Montag, 27. April 2009

Der Blick für das Gesamte

Lobend erwähnen möchte ich an dieser Stelle die VDI-Nachrichten (Nachrichten des Vereins deutscher Ingeniere), die sich erneut kritisch mit der herrschenden ökonomischen Lehre auseinandersetzen bzw. einen kritischen Ökonomen zu Wort kommen lassen, und zwar in einem Interview mit Heiner Flassbeck unter dem Titel »Gewinne müssen einer Volkswirtschaft zugute kommen«.
Das Interview gefällt mir auch deswegen so gut, weil es ganz praktisch erläutert, weshalb es falsch ist, die Wirtschaft mit einzelnen Wirtschaftssubjekten zu verwechseln bzw. gleichzusetzen. Das ist leider ein geläufiger Kardinalfehler der herrschenden ökonomischen Lehre, die oft mit sog. »repräsentativen Einzelhandelnden«, sog. »representative agents« arbeitet. D.h. die Gesellschaft wird behandelt, als bestehe sie aus einer Person (Für die Informatiker da draußen: Eine Representative-Agent-Modell setzt gewissermaßen Klasse und Instanz gleich.), sie wird modelliert als »horde of clones, consuming commodities which are identical to each other« [Keen, Debunking Economics, S. 47 – Pflichtlektüre!]. Damit wird der Wirklichkeitsbezug gleich von Anfang an aus diesen Modellen entfernt.
Der Titel des Interviews gefällt mir allerdings nicht so sehr:
Erstens suggeriert er mit den Anführungszeichen, daß Flassbeck diesen Satz so gesagt habe, dabei hat Flassbeck Schumpeter zitiert, und zwar im Zusammenhang mit der Funktion der Konkurrenz.
Zweitens kann er als eine Kritik an der »Gerechtigkeit« der Verteilung verstanden werden. Da der Begriff der Gerechtigkeit unscharf und umstritten ist, kann sich die herrschende ökonomische Lehre immer mit dem billigen Argument, sie kümmere sich nicht um die Gerechtigkeit, sondern um die »Effizienz« herausreden (wobei »Effizienz« tautologisch auf den Tausch bezogen definiert wird, aber das führt an dieser Stelle zu weit). Hier geht es aber um eine Kritik an der Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft, Wohlstand zu produzieren, und damit um eine rein ökonomische Frage, unabhängig vom Begriff der Gerechtigkeit.
Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, daß konservative und (wirtschafts-)liberale Zeitgenossen in der Regel nicht in der Lage sind, die ökonomische Kritik an der neoliberalen Marktwirtschaft zu erfassen. Für sie ist die »linke« Kritik an der Marktwirtschaft immer nur eine Gerechtigkeitsfrage, die von ihnen als »Neiddebatte« abgetan wird, weil ihnen die neoklassische VWL – de facto ihre Rechtfertigungs-Ideologie – versichert, daß jede Verteilung durch den Markt »effizient« ist, und jede Umverteilung »ineffizient« und damit auch irgendwie ungerecht ist. Die neoliberale Marktwirtschaft ist aber nicht nur »ungerecht« (und das ist sie!), sondern sie ist auch »ineffektiv« [sic!], d.h. sie produziert für alle weniger Reichtum, als eine sozial moderierte Gesellschaft, d.h. auch für die Reichen ist eine moderierte Wirtschaftsordnung besser.

Samstag, 11. April 2009

Die Frage der Verteilung (und die Steuerlast)

Es gibt zum Glück Ökonomen, die den Kern der gegenwärtigen Krise erkennen, wie z.B. Jean-Paul Fitoussi, der von Thomas Fricke in dessen FTD-Blog »Wirtschaftswunder« interviewt wird. Sehr lesenswert! Fitoussi äußert sich in dem Interview »Jean-Paul Fitoussi zur Finanzkrise« u.a. so:
»Der Kern des Problems liegt darin, dass weltweit zu viel gespart worden ist, nicht zu wenig. Und dieses Problem ist dadurch entstanden, dass es über zweieinhalb Jahrzehnte eine Umverteilung der Einkommen von unten nach oben gab. Damit haben jene plötzlich viel mehr Geld gehabt, die angesichts der Höhe ihres Einkommens ohnehin nur einen relativ kleinen Teil ihres Geldes ausgeben und einen hohen Teil sparen.«
Überhaupt nicht lesenswert sind hingegen die dümmlichen Titel zu den – nicht besonders ausgegorenen – Plänen der SPD, die Steuern im mittleren bis oberen Einkommensbereich anzuheben, z.B.
»SPD plant Wahlkampf gegen Reiche« (Zeit)
oder
»SPD macht Wahlkampf gegen ›Reiche‹« (Handelsblatt).
Man muß sich vor Augen führen, daß es erstens nicht um Kapitaleinkommen geht, denn diese sind mit der sog. »Abgeltungssteuer« niedrig besteuert. Das allein macht deutlich, daß es – leider! – gar nicht um die Reichen geht. Und zweitens liegt der von der SPD ins Gespräch gebrachte (was ohnehin nicht viel über den tatsächlichen Umsetzungswillen aussagt) Steuersatz niedriger als der zu Zeiten der CDU/FDP-Regierung unter Helmut Kohl.
Hingegen muß ich in die Liste der kritischen Stimmen (vgl. letzter Blog-Eintrag) noch das FAZ-Feuilleton aufnehmen. Dort wurde jüngst ein Artikel über den Ordoliberalismus deutscher Schule bzw. dessen Vertreter Alfred Müller-Armack unter dem Titel »Soziale Marktwirtschaft – Ökonomie als Instrument, nicht als Selbstzweck« veröffentlicht, der von mir ebenfalls das Prädikat sehr lesenswert erhält. Insbesondere die Verteidigung von gesetzlichem Mindestlohn und Vermögensumverteilung durch Besteuerung finden meine ungeteilte Zustimmung.
P.S.:
Zur Abgeltungssteuer muß ich zugeben, daß die Kapitaleigner infolge der Streichung des Halbeinkünfteverfahrens zusätzlich die Körperschaftssteuer tragen (soweit sie dies nicht durch Lohn- und Preisgestaltung auf Arbeiter und Kunden abwälzen können). Mit der Einführung der Abgeltungssteuer wurde allerdings auch diese gesenkt.
P.P.S.:
Immerhin kommt in der »Zeit« nun Harald Schumann (Autor des Buches »Die Globalisierungsfalle«) zu Wort, der im Artikel »SPD-Steuerpolitik – Heuchelei als Prinzip« einige wichtige Punkte benennt.

Dienstag, 7. April 2009

Kritischen Journalismus? Gibt es in den Wirtschaftszeitungen!

Ich muß leider sagen, daß ich vom deutschen Journalismus recht enttäuscht bin. Da ich Italien etwas besser kenne, weiß ich, daß es noch schlimmer geht, aber die deutschen Zeitungen bieten m.E. in politischen und ökonomischen Fragen in der Regel Mittelmaß und/oder unkritische Wiedergabe neoliberalen Mainstreams, wahrscheinlich vorbereitet und vorgekaut von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die bekanntlich eine PR- bzw. Werbekampagne des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall ist. Vor allem gibt es kaum pointierte Diskussionen zwischen widerstreitenden Positionen oder gar deren journalistische Aufarbeitung.
Ganz anders hingegen – die Wirtschaftszeitungen, womöglich inspiriert durch die angelsächsische Art, sich immer auch ein paar Quälgeister und Querdenker zu halten. Neben der Financial Times Deutschland, in welcher immer wieder neben Vertretern der herrschen neoklassischen/neoliberalen Denkrichtung auch diesbezüglich kritische Beiträge erscheinen, gibt es auch im Handelsblatt immer wieder interessante Beiträge zu ökonomischen Themen, die die gewohnten Denkmuster hinterfragen.
Zuletzt positiv aufgefallen ist mir die durchaus lesenswerte und am Original orientierte Artikelreihe über John Maynard Keynes. Besonders gefallen hat mir der Artikel »Der Kern von Keynes«. Ganz unabhängig davon, ob man Keynes’ Theorien nun anhängt oder nicht, ist es von Interesse, was er denn eigentlich gesagt hat. Danke, Handelsblatt!

Montag, 6. April 2009

The Frontier of Nonsense

Die Kritik an der Beschränktheit der neoklassischen Volkswirtschaftslehre ist alt. John Maynard Keynes beschrieb den traurigen Zustand seiner Zunft in seiner »Allgemeinen Theorie« (1936) mit folgenden Worten:
»Die Anschauung, daß wir die Funktion gesamten Nachfrage ohne weiteres übersehen können, bildete die Basis der Wirtschaftslehre von Ricardo, die dem, was man uns über ein Jahrhundert lang gelehrt hat, zugrunde liegt. Malthus hat zwar Ricardos Doktrin, daß die wirksame Nachfrage unmöglich unzureichend sein könne, heftig bekämpft, aber umsonst. Weil nämlich Malthus nicht deutlich erklären konnte (von einer Berufung auf allgemeine Erfahrungstatsachen abgesehen), wie und warum die wirksame Nachfrage unzureichend oder übermäßig sein könne, mißlang ihm die Bereitstellung eines alternativen Aufbaus, und Ricardo hat England so vollständig erobert wie die Heilige Inquisition Spanien. Nicht nur wurde seine Theorie von der City, von Staatsmännern und von der akademischen Welt angenommen, sondern der wissenschaftliche Streit nahm ein Ende; der andere Standpunkt verschwand vollkommen; man hörte auf, ihn zu erörtern. Das große Rätsel der wirksamen Nachfrage, mit dem Malthus gerungen hatte, verschwand aus der wirtschaftlichen Literatur. Man wird sie [sic!] in den gesamten Werken von Marshall, Edgeworth und Prof. Pigou, die der klassischen Theorie ihre reifste Verkörperung gaben, auch nicht ein einziges Mal nur erwähnt finden. Sie konnten nur verstohlen unter der Oberfläche weiterleben, in den Unterwelten von Karl Marx, Silvio Gesell oder Major Douglas.« — Keynes, Allgemeine Theorie, 9. A. 2002, S. 27 f.
Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die Verhältnisse in der VWL, sowohl was die Modellbildung, als auch was die Streitkultur betrifft.
In bestimmten Fachkreisen zirkuliert solche Kritik schon lange. Vgl. zur Modellbildung Ortlieb (Mathematiker): »Methodische Probleme und methodische Fehler der mathematischen Modellierung in der Volkswirtschaftslehre« (2004) und jüngst zur Streitkultur Keen (Ökonom): »Mad, bad, and dangerous to know« (2009)
Nun erreicht diese Diskussion hoffentlich auch die breitere Öffentlichkeit:
Nachdem bereits ein Artikel im Mainstream-Wissenschaftsmagazin »Nature« unter dem Titel »Economics needs a scientific revolution« (der Verfasser Jean-Philippe Bouchaud ist nicht Ökonom, sondern Physiker) die Modellbildung kritisiert hatte, wendete sich nun die »New York Times« unter dem Titel »Economics Professors Are Unshaken by Financial Crisis« den Verhältnissen, nämlich der mangelnden Realitätsnähe in der VWL zu.
Um noch einmal Keynes zu zitieren: Man sollte es vorziehen …
»[…] lieber die Wahrheit unklar und unvollständig zu sehen, als Irrtum aufrechtzuerhalten, der zwar mit Klarheit, Konsequenz und billiger Logik erreicht wurde, aber doch auf Grund von Hypothesen, die den Tatsachen nicht angepaßt [sind].« – Keynes, a.a.O., S. 313
Damit beschreibt Keynes in höflichen Worten im Grunde genommen nichts anderes als die wissenschaftliche Methode.

Freitag, 3. April 2009

„Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.“

Immer wieder wird das Argument zu Felde geführt, „wir“ hätten „über unsere Verhältnisse gelebt“. Zuletzt verwendet Bundespräsident Horst Köhler dieses Argument in seiner „Berliner Rede“ vom 24. März 2009:
Jetzt führt uns die Krise vor Augen: Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt.
Eine schöne Replik hierauf schrieb Carl-L. Holtfrerich am 31. März im FTD-Blog „Wirtschaftswunder“ unter dem Titel „Mit Verlaub, Herr Präsident: Wer ist ‚Wir‘?“. Darin verweist Holtfrerich zurecht auf die Tatsache, daß die Lohnentwicklung in Deutschland seit Jahren weit unter der Produktivitätsentwicklung liegt und daß Deutschland einen gigantischen Außenhandelsüberschuß erwirtschaftet.
Dabei äußert sich Holtfrerich auch zur Staatsverschuldung:
Für „Wir alle“ blieb dem Bundespräsidenten nur ein einziger Anknüpfungspunkt: die gestiegene Staatsverschuldung, für die alle Steuerzahler den Schuldendienst aufbringen müssen. Aber ein Anstieg der Staatsverschuldung bedeutet nur dann, dass die Bevölkerung heute über ihre Verhältnisse und zu Lasten zukünftiger Generationen lebt, wenn daraus nicht Investitionen in die Zukunft finanziert werden.
Damit allerdings geht Holtfrerich fehl. Selbst die Verschuldung zum Zwecke des Konsums führt für sich allein betrachtet nicht dazu, daß eine Gesellschaft „über die eigenen Verhältnisse“ lebt.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig in der Ökonomie das Wesen des Kredits (also das Wesen von Schulden) beachtet (oder verstanden?) wird. Ein Kreditvertrag enthält ein Schuldversprechen. D.h. eine Person (die Schulderin) verspricht einer anderen Person (der Gläubigerin), in der Zukunft etwas zu leisten. Befinden sich sowohl Gläubigerin als auch Schuldnerin innerhalb einer Gruppe, so ist diese Gruppe als ganzes überhaupt nicht verschuldet. Es bestehen lediglich innerhalb der Gruppe Ansprüche und Verbindlichkeiten einzelner Personen.
So ist das auch mit Generationen, d.h. den innerhalb einer Zeitspanne lebenden Personen. Schulden werden vererbt – und ebenso die dazu gehörigen Forderungen. D.h. die Staatsverschuldung ist ein Verteilungsproblem innerhalb einer Generation und kein Verteilungsproblem zwischen den Generationen.