Dienstag, 26. Mai 2009

Kritik, die eine Bestätigung ist

Im FTD-Blog »Wirtschaftswunder« schreibt David Milleker unter dem Titel »Wirtschaftswissenschaft in der Krise?«, die Kritik an der herrschenden ökonomischen Lehre gehe ins Leere.
Begründen tut er dies mit folgendem Argument:
»Diese Einschätzung basiert nicht zuletzt darauf, dass zwei der wesentlichen Kritikpunkte am heutigen Stand der Wirtschaftswissenschaften nicht zutreffen: erstens die Kritik am Bild des Homo Oeconomicus als rational handelndem Wesen, und zweitens die des vollständigen Marktes. Beide sind zweifellos zentrale Bestandteile des Modellbaukastens der neoklassischen Ökonomik und beide sind nicht sonderlich realitätsnah. Natürlich ist ein Modell nicht[s] anderes als eine mitunter stark vereinfachende Abbildung der Realität. Der einzige Anspruch, dem ein Modell gerecht werden muss, ist, ex ante bessere Zukunftseinschätzungen zu liefern als andere Ansätze.«
Er fügt hinzu:
»Legt man dagegen den Maßstab der ex ante Prognosegüte zugrunde, so ist der Fehler der ökonomischen Modellwelten an zwei anderen Stellen zu suchen: zum einen an dem in beiden großen Denkschulen verwendeten Ansatz des repräsentativen Konsumenten bzw. Unternehmens; zum anderen in der wesentlichen Vernachlässigung des Faktors Zeit. Beides hat zur Folge, dass die zyklische Dynamik einer Volkswirtschaft nur durch äußere Einflüsse aber nicht systemimmanent dargestellt wird.«
Was ist davon zu halten?
Die erste Argumentation ist der sogenannte »F-Twist«, mit dem Milton Friedman sich gegenüber Kritik an kontrafaktischen – also falschen – Annahmen zu isolieren suchte. Annahmen müßten nicht der Realität entsprechen, sondern nur die auf ihnen fußenden Modelle richtig prognostizieren. (Dazu Keen, »Debunking Economics«, S. 150 ff.) Nun gibt es natürlich Annahmen, die gewisse Faktoren vernachlässigen und somit zulässige Abstraktionen darstellen. Letztlich sind alle unsere Vorstellungen Abstraktionen. Es gibt aber auch Annahmen, die den in der Wirklichkeit vorkommenden Phänomenen nicht ent-, sondern widersprechen. Sie sind keine Abstraktionen, sondern falsche Annahmen. Wieso aber sollte ein Modell mit falschen Annahmen richtig prognostizieren? (Das tun die Modelle der VWL ja nun offensichtlich auch nicht.) Eine solche Argumentation verstieße mangels überprüfbaren Kausalzusammenhanges gegen die Denklogik wissenschaftliche Methode und ist damit rundheraus abzulehnen. Damit ist Millekers Argument auf die Streitfrage reduziert, ob die Annahmen homo oeconomicus und vollständiger Markt nun falsch sind, oder lediglich Abstraktionen darstellen. Richtigerweise sind sie falsch, weil sie zirkelschlüssig (homo oeconomicus) bzw. widersprüchlich (»perfekte Konkurrenz«) sind, was in diesem Rahmen allerdings nicht ausführlicher behandelt werden kann.
Millekers Kritik ist aber auch sonst nicht als Verteidigung der VWL geeignet, weil sie zwar einen Teil der Kritik (zu unrecht) ablehnt, aber zugleich einen anderen Teil der Kritik mit deutlichen Worten bestätigt und hervorhebt.
Willkommen im Lager der Kritiker, Herr Milleker! Die Überschrift müßte nicht lauten »Wirtschaftswissenschaft in der Krise?«, sondern »Wirtschaftswissenschaft in der Krise!«.

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