Montag, 6. April 2009

The Frontier of Nonsense

Die Kritik an der Beschränktheit der neoklassischen Volkswirtschaftslehre ist alt. John Maynard Keynes beschrieb den traurigen Zustand seiner Zunft in seiner »Allgemeinen Theorie« (1936) mit folgenden Worten:
»Die Anschauung, daß wir die Funktion gesamten Nachfrage ohne weiteres übersehen können, bildete die Basis der Wirtschaftslehre von Ricardo, die dem, was man uns über ein Jahrhundert lang gelehrt hat, zugrunde liegt. Malthus hat zwar Ricardos Doktrin, daß die wirksame Nachfrage unmöglich unzureichend sein könne, heftig bekämpft, aber umsonst. Weil nämlich Malthus nicht deutlich erklären konnte (von einer Berufung auf allgemeine Erfahrungstatsachen abgesehen), wie und warum die wirksame Nachfrage unzureichend oder übermäßig sein könne, mißlang ihm die Bereitstellung eines alternativen Aufbaus, und Ricardo hat England so vollständig erobert wie die Heilige Inquisition Spanien. Nicht nur wurde seine Theorie von der City, von Staatsmännern und von der akademischen Welt angenommen, sondern der wissenschaftliche Streit nahm ein Ende; der andere Standpunkt verschwand vollkommen; man hörte auf, ihn zu erörtern. Das große Rätsel der wirksamen Nachfrage, mit dem Malthus gerungen hatte, verschwand aus der wirtschaftlichen Literatur. Man wird sie [sic!] in den gesamten Werken von Marshall, Edgeworth und Prof. Pigou, die der klassischen Theorie ihre reifste Verkörperung gaben, auch nicht ein einziges Mal nur erwähnt finden. Sie konnten nur verstohlen unter der Oberfläche weiterleben, in den Unterwelten von Karl Marx, Silvio Gesell oder Major Douglas.« — Keynes, Allgemeine Theorie, 9. A. 2002, S. 27 f.
Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die Verhältnisse in der VWL, sowohl was die Modellbildung, als auch was die Streitkultur betrifft.
In bestimmten Fachkreisen zirkuliert solche Kritik schon lange. Vgl. zur Modellbildung Ortlieb (Mathematiker): »Methodische Probleme und methodische Fehler der mathematischen Modellierung in der Volkswirtschaftslehre« (2004) und jüngst zur Streitkultur Keen (Ökonom): »Mad, bad, and dangerous to know« (2009)
Nun erreicht diese Diskussion hoffentlich auch die breitere Öffentlichkeit:
Nachdem bereits ein Artikel im Mainstream-Wissenschaftsmagazin »Nature« unter dem Titel »Economics needs a scientific revolution« (der Verfasser Jean-Philippe Bouchaud ist nicht Ökonom, sondern Physiker) die Modellbildung kritisiert hatte, wendete sich nun die »New York Times« unter dem Titel »Economics Professors Are Unshaken by Financial Crisis« den Verhältnissen, nämlich der mangelnden Realitätsnähe in der VWL zu.
Um noch einmal Keynes zu zitieren: Man sollte es vorziehen …
»[…] lieber die Wahrheit unklar und unvollständig zu sehen, als Irrtum aufrechtzuerhalten, der zwar mit Klarheit, Konsequenz und billiger Logik erreicht wurde, aber doch auf Grund von Hypothesen, die den Tatsachen nicht angepaßt [sind].« – Keynes, a.a.O., S. 313
Damit beschreibt Keynes in höflichen Worten im Grunde genommen nichts anderes als die wissenschaftliche Methode.

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