Freitag, 3. April 2009

„Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.“

Immer wieder wird das Argument zu Felde geführt, „wir“ hätten „über unsere Verhältnisse gelebt“. Zuletzt verwendet Bundespräsident Horst Köhler dieses Argument in seiner „Berliner Rede“ vom 24. März 2009:
Jetzt führt uns die Krise vor Augen: Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt.
Eine schöne Replik hierauf schrieb Carl-L. Holtfrerich am 31. März im FTD-Blog „Wirtschaftswunder“ unter dem Titel „Mit Verlaub, Herr Präsident: Wer ist ‚Wir‘?“. Darin verweist Holtfrerich zurecht auf die Tatsache, daß die Lohnentwicklung in Deutschland seit Jahren weit unter der Produktivitätsentwicklung liegt und daß Deutschland einen gigantischen Außenhandelsüberschuß erwirtschaftet.
Dabei äußert sich Holtfrerich auch zur Staatsverschuldung:
Für „Wir alle“ blieb dem Bundespräsidenten nur ein einziger Anknüpfungspunkt: die gestiegene Staatsverschuldung, für die alle Steuerzahler den Schuldendienst aufbringen müssen. Aber ein Anstieg der Staatsverschuldung bedeutet nur dann, dass die Bevölkerung heute über ihre Verhältnisse und zu Lasten zukünftiger Generationen lebt, wenn daraus nicht Investitionen in die Zukunft finanziert werden.
Damit allerdings geht Holtfrerich fehl. Selbst die Verschuldung zum Zwecke des Konsums führt für sich allein betrachtet nicht dazu, daß eine Gesellschaft „über die eigenen Verhältnisse“ lebt.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig in der Ökonomie das Wesen des Kredits (also das Wesen von Schulden) beachtet (oder verstanden?) wird. Ein Kreditvertrag enthält ein Schuldversprechen. D.h. eine Person (die Schulderin) verspricht einer anderen Person (der Gläubigerin), in der Zukunft etwas zu leisten. Befinden sich sowohl Gläubigerin als auch Schuldnerin innerhalb einer Gruppe, so ist diese Gruppe als ganzes überhaupt nicht verschuldet. Es bestehen lediglich innerhalb der Gruppe Ansprüche und Verbindlichkeiten einzelner Personen.
So ist das auch mit Generationen, d.h. den innerhalb einer Zeitspanne lebenden Personen. Schulden werden vererbt – und ebenso die dazu gehörigen Forderungen. D.h. die Staatsverschuldung ist ein Verteilungsproblem innerhalb einer Generation und kein Verteilungsproblem zwischen den Generationen.

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