Dienstag, 26. Mai 2009

Die Logik des Professor Sinn

Der folgende Artikel von Prof. Sebastian Dullien verdient das Prädikat »must read!«. Er zeigt auf, mit welch im Grunde genommen unfaßbarer Unwissenschaftlichkeit teilweise von deutschen Ökonomen (konkret Prof. Hans-Werner Sinn vom münchner Ifo-Institut) gearbeitet wird. Zitat:
»Sinn verletzte damit in der Debatte um die deutsche Basar-Ökonomie zunächst das Gebot äußerer Konsistenz der Argumentation mit den Fakten, danach das Gebot innerer Konsistenz, als er seine Argumentation anpaßte. Das Gros der Wirtschaftsjournalisten ignorierte dies.«
Veröffentlicht in: Harald Hagemann, Gustav Horn, Hans-Jürgen Krupp (Hg.): Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht – Festschrift für Jürgen Kromphardt, Schriften der Keynes-Gesellschaft, Band 1, 2008, S. 225–244.

Kritik, die eine Bestätigung ist

Im FTD-Blog »Wirtschaftswunder« schreibt David Milleker unter dem Titel »Wirtschaftswissenschaft in der Krise?«, die Kritik an der herrschenden ökonomischen Lehre gehe ins Leere.
Begründen tut er dies mit folgendem Argument:
»Diese Einschätzung basiert nicht zuletzt darauf, dass zwei der wesentlichen Kritikpunkte am heutigen Stand der Wirtschaftswissenschaften nicht zutreffen: erstens die Kritik am Bild des Homo Oeconomicus als rational handelndem Wesen, und zweitens die des vollständigen Marktes. Beide sind zweifellos zentrale Bestandteile des Modellbaukastens der neoklassischen Ökonomik und beide sind nicht sonderlich realitätsnah. Natürlich ist ein Modell nicht[s] anderes als eine mitunter stark vereinfachende Abbildung der Realität. Der einzige Anspruch, dem ein Modell gerecht werden muss, ist, ex ante bessere Zukunftseinschätzungen zu liefern als andere Ansätze.«
Er fügt hinzu:
»Legt man dagegen den Maßstab der ex ante Prognosegüte zugrunde, so ist der Fehler der ökonomischen Modellwelten an zwei anderen Stellen zu suchen: zum einen an dem in beiden großen Denkschulen verwendeten Ansatz des repräsentativen Konsumenten bzw. Unternehmens; zum anderen in der wesentlichen Vernachlässigung des Faktors Zeit. Beides hat zur Folge, dass die zyklische Dynamik einer Volkswirtschaft nur durch äußere Einflüsse aber nicht systemimmanent dargestellt wird.«
Was ist davon zu halten?
Die erste Argumentation ist der sogenannte »F-Twist«, mit dem Milton Friedman sich gegenüber Kritik an kontrafaktischen – also falschen – Annahmen zu isolieren suchte. Annahmen müßten nicht der Realität entsprechen, sondern nur die auf ihnen fußenden Modelle richtig prognostizieren. (Dazu Keen, »Debunking Economics«, S. 150 ff.) Nun gibt es natürlich Annahmen, die gewisse Faktoren vernachlässigen und somit zulässige Abstraktionen darstellen. Letztlich sind alle unsere Vorstellungen Abstraktionen. Es gibt aber auch Annahmen, die den in der Wirklichkeit vorkommenden Phänomenen nicht ent-, sondern widersprechen. Sie sind keine Abstraktionen, sondern falsche Annahmen. Wieso aber sollte ein Modell mit falschen Annahmen richtig prognostizieren? (Das tun die Modelle der VWL ja nun offensichtlich auch nicht.) Eine solche Argumentation verstieße mangels überprüfbaren Kausalzusammenhanges gegen die Denklogik wissenschaftliche Methode und ist damit rundheraus abzulehnen. Damit ist Millekers Argument auf die Streitfrage reduziert, ob die Annahmen homo oeconomicus und vollständiger Markt nun falsch sind, oder lediglich Abstraktionen darstellen. Richtigerweise sind sie falsch, weil sie zirkelschlüssig (homo oeconomicus) bzw. widersprüchlich (»perfekte Konkurrenz«) sind, was in diesem Rahmen allerdings nicht ausführlicher behandelt werden kann.
Millekers Kritik ist aber auch sonst nicht als Verteidigung der VWL geeignet, weil sie zwar einen Teil der Kritik (zu unrecht) ablehnt, aber zugleich einen anderen Teil der Kritik mit deutlichen Worten bestätigt und hervorhebt.
Willkommen im Lager der Kritiker, Herr Milleker! Die Überschrift müßte nicht lauten »Wirtschaftswissenschaft in der Krise?«, sondern »Wirtschaftswissenschaft in der Krise!«.

Steve Keens Blog zur Finanzkrise

Unter dem Titel »Steve Keen’s Debtwatch–Analysing the Global Debt Bubble« hat Prof. Steve Keen ein Blog eingerichtet, das sich vor allem mit dem Problem Schulden und Deflation auseinandersetzt.
Darin wendet er sich u.a. gegen die – auch in Deutschland verwendete – unsinnige Argumentation, »der Staat« sei schuld an der Finanzkrise, da er schlecht reguliert habe, und fragt ganz richtig, wer denn den Inhalt der Regulierung bestimmt hat?! Zitat:
“Who do current neoclassical economists blame for this crisis? The Federal Reserve of course, for poor economic policy:
‘By 2007, fuelled by the Federal Reserve’s egregious policy errors, markets were moving into unsustainable bubble territory. The Fed by this time had realized the problem was getting out of hand and had moved interest rates up sharply—too sharply—and burst the house price bubble.’ (McTaggart et al).
But who staffs the Federal Reserve? Neoclassical economists of course…
Please, let’s not fall for this nonsense a second time. Keynes tried to free us from neoclassical economic thinking back in the 1930s, only to have neoclassical economists like John Hicks and Paul Samuelson eviscerate Keynes’s thought and re-establish a revitalised neoclassical economics after the Depression was over. This time, let’s do it right and get rid of neoclassical economics once and for all.”
Steve Keen ist Autor des Buches »Debunking Economics—The Naked Emperor of the Social Sciences« (zu deutsch in etwa: »Die Wahrheit über die Volkswirtschaftslehre – Des Kaisers neue Kleider in den Sozialwissenschaften«). Es ist ein Muß für jeden, der an einer vernünftigen bzw. wissenschaftlichen ökonomischen Theorie interessiert ist, erklärt es doch die meisten der gängigen Modelle in der herrschenden ökonomische Lehre und zeigt auf, weshalb diese Modelle wissenschaftlich unhaltbar sind.

Montag, 18. Mai 2009

Prima Initiativen

Eine prima Initiative zur Verbesserung der Volkswirtschaftslehre (eine freundliche bis euphemistische Beschreibung) ist kürzlich aus der Taufe gehoben worden:
»Toxic Textbooks« soll Studenten helfen, sich über die schweren logischen Fehler und unsinnigen Annahmen, mit denen viele der gebräuchlichen Lehrbücher beladen sind, zu informieren.
Damit in Zusammenhang steht das »Post-Autistic Economics Network«, welches Wissenschaftler zusammenbringen soll, die tatsächlich Wissenschaft, also die Suche nach Wahrheit betreiben wollen, und eben nicht ihre eigenen Vorurteile als Wahrheit verkaufen wollen, obschon diese schon aus logischen Gründen nicht der Wahrheit entsprechen können oder ganz offensichtlich die Wirklichkeit nicht abbilden.
Die Notwendigkeit aus der Volkswirtschaftslehre endlich wieder eine echte Wissenschaft zu machen, wird durch die aktuelle Krise nur allzu deutlich:
“No discipline has ever experienced systemic failure on the scale that economics has today. Its fall from grace has been two-dimensional. One, economists oversaw, directly and through the prevalence of their ideas, the structuring of the global economy that has now collapsed. Two, except for a few outcasts, economists failed to see, even before the general public saw, the coming of the biggest economic meltdown of all time. Never has a profession betrayed the trust of society so acutely, never has one been in such desperate need of a fundamental remake.”

Donnerstag, 7. Mai 2009

Kritik des deutschen Zwei-Klassen-Gesundheitssystems

Wie in der FAZ, so ist auch bei Spiegel Online der kritischere Teil der Berichterstattung gerne mal im Feuilleton versteckt. In einem kritischen Artikel (»Gefangen im kranken System«) über eine Talkshow zu den Probleme der Gesundheitswirtschaft findet sich eine bemerkenswerte Stelle zum deutschen System der privaten Krankenkassen:
»Aber warum kann die Private Krankenversicherung überhaupt so großzügig sein, weshalb kann sie Ärzten und Krankenkassen für eine Behandlung 2,5-mal so viel bezahlen wie die Gesetzliche Krankenkasse? Weil sie besser wirtschaftet? Nein. Im Gegenteil. Die Verwaltungskosten der Privatkassen sind deutlich höher als die der gesetzlichen Kassen. Es funktioniert schlicht deshalb, weil sie die Leute selektieren darf, die sie versichert.«
Und:
»Überspitzt gesagt, kann noch der dümmste Manager eine Privatversicherung erfolgreich führen. Die deutsche Besonderheit, dass die zehn Prozent der Bevölkerung, die am gesündesten sind, eine eigene Krankenkassen bilden, ist heute logisch durch nichts mehr zu rechtfertigen.«
Das ist im Ergebnis richtig. Die privaten Krankenkassen gehören entweder abgeschafft oder in ein System mit Kontrahierungszwang und Pflichtleistungskatalog, entsprechend dem System der gesetzlichen Kassen aufgenommen.
Die Begründung ist allerdings etwas schief. Es kommt für die »Erfolge« der privaten Krankenkassen nicht in erster Linie auf die Gesundheit, sondern auf das Vermögen bzw. das Einkommen der Versicherten an. Wenn die Reichen eine Krankenkasse bilden und die Armen eine andere Krankenkasse, dann darf man dreimal raten, welche Krankenkasse bei welchem Beitragssatz – d.h. Prozentuale des Einkommens! – mehr Leistungen anbieten kann.