Montag, 24. August 2009

Die Frage der Verteilung

Endlich rückt die Frage der Verteilung wieder ins Bewußtsein der Medien. Ein erster Schritt hierzu ist ein Artikel in der »Zeit« mit dem Titel »Ist Wachstum nur für Ungleichheit zu haben?«. Wohltuend ist dabei, daß nicht mehr eine einzige, angeblich richtige und alternativlose ökonomische Lehrmeinung angenommen wird, und daß die Spitzensteuersätze vor der neoliberalen Phase, d.h. vor den 80er Jahren thematisiert werden.

Zitat:

Es gibt sogar Ökonomen, die argumentieren: Eine zu hohe Konzentration des Reichtums in wenigen Händen könne schädlich für das Wachstum sein. Je höher das Gehalt, sagen sie, desto mehr würde gespart und desto geringer sei die Nachfrage nach Konsumartikeln. Die „stärkere Spreizung der Einkommen“, merkte die Bundesbank unlängst an, sei ein Grund für den jahrelangen Konsumverzicht in Deutschland.

Prädikat: lesenswert!

Dienstag, 26. Mai 2009

Die Logik des Professor Sinn

Der folgende Artikel von Prof. Sebastian Dullien verdient das Prädikat »must read!«. Er zeigt auf, mit welch im Grunde genommen unfaßbarer Unwissenschaftlichkeit teilweise von deutschen Ökonomen (konkret Prof. Hans-Werner Sinn vom münchner Ifo-Institut) gearbeitet wird. Zitat:
»Sinn verletzte damit in der Debatte um die deutsche Basar-Ökonomie zunächst das Gebot äußerer Konsistenz der Argumentation mit den Fakten, danach das Gebot innerer Konsistenz, als er seine Argumentation anpaßte. Das Gros der Wirtschaftsjournalisten ignorierte dies.«
Veröffentlicht in: Harald Hagemann, Gustav Horn, Hans-Jürgen Krupp (Hg.): Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht – Festschrift für Jürgen Kromphardt, Schriften der Keynes-Gesellschaft, Band 1, 2008, S. 225–244.

Kritik, die eine Bestätigung ist

Im FTD-Blog »Wirtschaftswunder« schreibt David Milleker unter dem Titel »Wirtschaftswissenschaft in der Krise?«, die Kritik an der herrschenden ökonomischen Lehre gehe ins Leere.
Begründen tut er dies mit folgendem Argument:
»Diese Einschätzung basiert nicht zuletzt darauf, dass zwei der wesentlichen Kritikpunkte am heutigen Stand der Wirtschaftswissenschaften nicht zutreffen: erstens die Kritik am Bild des Homo Oeconomicus als rational handelndem Wesen, und zweitens die des vollständigen Marktes. Beide sind zweifellos zentrale Bestandteile des Modellbaukastens der neoklassischen Ökonomik und beide sind nicht sonderlich realitätsnah. Natürlich ist ein Modell nicht[s] anderes als eine mitunter stark vereinfachende Abbildung der Realität. Der einzige Anspruch, dem ein Modell gerecht werden muss, ist, ex ante bessere Zukunftseinschätzungen zu liefern als andere Ansätze.«
Er fügt hinzu:
»Legt man dagegen den Maßstab der ex ante Prognosegüte zugrunde, so ist der Fehler der ökonomischen Modellwelten an zwei anderen Stellen zu suchen: zum einen an dem in beiden großen Denkschulen verwendeten Ansatz des repräsentativen Konsumenten bzw. Unternehmens; zum anderen in der wesentlichen Vernachlässigung des Faktors Zeit. Beides hat zur Folge, dass die zyklische Dynamik einer Volkswirtschaft nur durch äußere Einflüsse aber nicht systemimmanent dargestellt wird.«
Was ist davon zu halten?
Die erste Argumentation ist der sogenannte »F-Twist«, mit dem Milton Friedman sich gegenüber Kritik an kontrafaktischen – also falschen – Annahmen zu isolieren suchte. Annahmen müßten nicht der Realität entsprechen, sondern nur die auf ihnen fußenden Modelle richtig prognostizieren. (Dazu Keen, »Debunking Economics«, S. 150 ff.) Nun gibt es natürlich Annahmen, die gewisse Faktoren vernachlässigen und somit zulässige Abstraktionen darstellen. Letztlich sind alle unsere Vorstellungen Abstraktionen. Es gibt aber auch Annahmen, die den in der Wirklichkeit vorkommenden Phänomenen nicht ent-, sondern widersprechen. Sie sind keine Abstraktionen, sondern falsche Annahmen. Wieso aber sollte ein Modell mit falschen Annahmen richtig prognostizieren? (Das tun die Modelle der VWL ja nun offensichtlich auch nicht.) Eine solche Argumentation verstieße mangels überprüfbaren Kausalzusammenhanges gegen die Denklogik wissenschaftliche Methode und ist damit rundheraus abzulehnen. Damit ist Millekers Argument auf die Streitfrage reduziert, ob die Annahmen homo oeconomicus und vollständiger Markt nun falsch sind, oder lediglich Abstraktionen darstellen. Richtigerweise sind sie falsch, weil sie zirkelschlüssig (homo oeconomicus) bzw. widersprüchlich (»perfekte Konkurrenz«) sind, was in diesem Rahmen allerdings nicht ausführlicher behandelt werden kann.
Millekers Kritik ist aber auch sonst nicht als Verteidigung der VWL geeignet, weil sie zwar einen Teil der Kritik (zu unrecht) ablehnt, aber zugleich einen anderen Teil der Kritik mit deutlichen Worten bestätigt und hervorhebt.
Willkommen im Lager der Kritiker, Herr Milleker! Die Überschrift müßte nicht lauten »Wirtschaftswissenschaft in der Krise?«, sondern »Wirtschaftswissenschaft in der Krise!«.

Steve Keens Blog zur Finanzkrise

Unter dem Titel »Steve Keen’s Debtwatch–Analysing the Global Debt Bubble« hat Prof. Steve Keen ein Blog eingerichtet, das sich vor allem mit dem Problem Schulden und Deflation auseinandersetzt.
Darin wendet er sich u.a. gegen die – auch in Deutschland verwendete – unsinnige Argumentation, »der Staat« sei schuld an der Finanzkrise, da er schlecht reguliert habe, und fragt ganz richtig, wer denn den Inhalt der Regulierung bestimmt hat?! Zitat:
“Who do current neoclassical economists blame for this crisis? The Federal Reserve of course, for poor economic policy:
‘By 2007, fuelled by the Federal Reserve’s egregious policy errors, markets were moving into unsustainable bubble territory. The Fed by this time had realized the problem was getting out of hand and had moved interest rates up sharply—too sharply—and burst the house price bubble.’ (McTaggart et al).
But who staffs the Federal Reserve? Neoclassical economists of course…
Please, let’s not fall for this nonsense a second time. Keynes tried to free us from neoclassical economic thinking back in the 1930s, only to have neoclassical economists like John Hicks and Paul Samuelson eviscerate Keynes’s thought and re-establish a revitalised neoclassical economics after the Depression was over. This time, let’s do it right and get rid of neoclassical economics once and for all.”
Steve Keen ist Autor des Buches »Debunking Economics—The Naked Emperor of the Social Sciences« (zu deutsch in etwa: »Die Wahrheit über die Volkswirtschaftslehre – Des Kaisers neue Kleider in den Sozialwissenschaften«). Es ist ein Muß für jeden, der an einer vernünftigen bzw. wissenschaftlichen ökonomischen Theorie interessiert ist, erklärt es doch die meisten der gängigen Modelle in der herrschenden ökonomische Lehre und zeigt auf, weshalb diese Modelle wissenschaftlich unhaltbar sind.

Montag, 18. Mai 2009

Prima Initiativen

Eine prima Initiative zur Verbesserung der Volkswirtschaftslehre (eine freundliche bis euphemistische Beschreibung) ist kürzlich aus der Taufe gehoben worden:
»Toxic Textbooks« soll Studenten helfen, sich über die schweren logischen Fehler und unsinnigen Annahmen, mit denen viele der gebräuchlichen Lehrbücher beladen sind, zu informieren.
Damit in Zusammenhang steht das »Post-Autistic Economics Network«, welches Wissenschaftler zusammenbringen soll, die tatsächlich Wissenschaft, also die Suche nach Wahrheit betreiben wollen, und eben nicht ihre eigenen Vorurteile als Wahrheit verkaufen wollen, obschon diese schon aus logischen Gründen nicht der Wahrheit entsprechen können oder ganz offensichtlich die Wirklichkeit nicht abbilden.
Die Notwendigkeit aus der Volkswirtschaftslehre endlich wieder eine echte Wissenschaft zu machen, wird durch die aktuelle Krise nur allzu deutlich:
“No discipline has ever experienced systemic failure on the scale that economics has today. Its fall from grace has been two-dimensional. One, economists oversaw, directly and through the prevalence of their ideas, the structuring of the global economy that has now collapsed. Two, except for a few outcasts, economists failed to see, even before the general public saw, the coming of the biggest economic meltdown of all time. Never has a profession betrayed the trust of society so acutely, never has one been in such desperate need of a fundamental remake.”

Donnerstag, 7. Mai 2009

Kritik des deutschen Zwei-Klassen-Gesundheitssystems

Wie in der FAZ, so ist auch bei Spiegel Online der kritischere Teil der Berichterstattung gerne mal im Feuilleton versteckt. In einem kritischen Artikel (»Gefangen im kranken System«) über eine Talkshow zu den Probleme der Gesundheitswirtschaft findet sich eine bemerkenswerte Stelle zum deutschen System der privaten Krankenkassen:
»Aber warum kann die Private Krankenversicherung überhaupt so großzügig sein, weshalb kann sie Ärzten und Krankenkassen für eine Behandlung 2,5-mal so viel bezahlen wie die Gesetzliche Krankenkasse? Weil sie besser wirtschaftet? Nein. Im Gegenteil. Die Verwaltungskosten der Privatkassen sind deutlich höher als die der gesetzlichen Kassen. Es funktioniert schlicht deshalb, weil sie die Leute selektieren darf, die sie versichert.«
Und:
»Überspitzt gesagt, kann noch der dümmste Manager eine Privatversicherung erfolgreich führen. Die deutsche Besonderheit, dass die zehn Prozent der Bevölkerung, die am gesündesten sind, eine eigene Krankenkassen bilden, ist heute logisch durch nichts mehr zu rechtfertigen.«
Das ist im Ergebnis richtig. Die privaten Krankenkassen gehören entweder abgeschafft oder in ein System mit Kontrahierungszwang und Pflichtleistungskatalog, entsprechend dem System der gesetzlichen Kassen aufgenommen.
Die Begründung ist allerdings etwas schief. Es kommt für die »Erfolge« der privaten Krankenkassen nicht in erster Linie auf die Gesundheit, sondern auf das Vermögen bzw. das Einkommen der Versicherten an. Wenn die Reichen eine Krankenkasse bilden und die Armen eine andere Krankenkasse, dann darf man dreimal raten, welche Krankenkasse bei welchem Beitragssatz – d.h. Prozentuale des Einkommens! – mehr Leistungen anbieten kann.

Dienstag, 28. April 2009

Die Finanzkrise und ihre Ursachen

Ein guter Artikel zur Finanzkrise, zur schlechten Figur, die (aus meiner Sicht erwartungsgemäß) die herrschende ökonomische Lehre in dieser gemacht hat und immer noch macht, zu den falschen Lösungsansätzen, die gegenwärtig von der Regierung diskutiert und umgesetzt werden, und zu den wahren Ursachen der Krise findet sich in der FTD: »Der Trugschluss nach der Fehlannahme« von Lucas Zeise. Zitat:
»Weil weder Gutachter noch Regierung den Ausfall dieser gewaltigen Nachfrage als Krisenursache sehen, können oder wollen sie nicht darüber nachdenken, wie diese Lücke gefüllt werden soll. Solche Gedanken würden ja – horribile dictu – die Überlegung nahelegen, ob der Konsum nicht durch eine dauerhaft stärkere Einkommensentwicklung bei Geringverdienern und damit durch eine höhere Massenkaufkraft stabilisiert werden könnte oder, besser, müsste.«
Und:
»Wenn die Banken zugleich restriktiver werden, hat das weniger mit ihrer Bilanzschwäche als mit der erwarteten Zunahme der Pleiten und Kreditausfälle zu tun. Auch wenn der Staat sie jetzt mit Wohltaten überhäuft, werden sie aus nachvollziehbaren Gründen ihre Kreditvergabe so lange nicht ausweiten, wie sich die Geschäftsaussichten ihrer Kundschaft nicht merklich verbessern.«
Prädikat: Besonders lesenswert!

Montag, 27. April 2009

Der Blick für das Gesamte

Lobend erwähnen möchte ich an dieser Stelle die VDI-Nachrichten (Nachrichten des Vereins deutscher Ingeniere), die sich erneut kritisch mit der herrschenden ökonomischen Lehre auseinandersetzen bzw. einen kritischen Ökonomen zu Wort kommen lassen, und zwar in einem Interview mit Heiner Flassbeck unter dem Titel »Gewinne müssen einer Volkswirtschaft zugute kommen«.
Das Interview gefällt mir auch deswegen so gut, weil es ganz praktisch erläutert, weshalb es falsch ist, die Wirtschaft mit einzelnen Wirtschaftssubjekten zu verwechseln bzw. gleichzusetzen. Das ist leider ein geläufiger Kardinalfehler der herrschenden ökonomischen Lehre, die oft mit sog. »repräsentativen Einzelhandelnden«, sog. »representative agents« arbeitet. D.h. die Gesellschaft wird behandelt, als bestehe sie aus einer Person (Für die Informatiker da draußen: Eine Representative-Agent-Modell setzt gewissermaßen Klasse und Instanz gleich.), sie wird modelliert als »horde of clones, consuming commodities which are identical to each other« [Keen, Debunking Economics, S. 47 – Pflichtlektüre!]. Damit wird der Wirklichkeitsbezug gleich von Anfang an aus diesen Modellen entfernt.
Der Titel des Interviews gefällt mir allerdings nicht so sehr:
Erstens suggeriert er mit den Anführungszeichen, daß Flassbeck diesen Satz so gesagt habe, dabei hat Flassbeck Schumpeter zitiert, und zwar im Zusammenhang mit der Funktion der Konkurrenz.
Zweitens kann er als eine Kritik an der »Gerechtigkeit« der Verteilung verstanden werden. Da der Begriff der Gerechtigkeit unscharf und umstritten ist, kann sich die herrschende ökonomische Lehre immer mit dem billigen Argument, sie kümmere sich nicht um die Gerechtigkeit, sondern um die »Effizienz« herausreden (wobei »Effizienz« tautologisch auf den Tausch bezogen definiert wird, aber das führt an dieser Stelle zu weit). Hier geht es aber um eine Kritik an der Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft, Wohlstand zu produzieren, und damit um eine rein ökonomische Frage, unabhängig vom Begriff der Gerechtigkeit.
Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, daß konservative und (wirtschafts-)liberale Zeitgenossen in der Regel nicht in der Lage sind, die ökonomische Kritik an der neoliberalen Marktwirtschaft zu erfassen. Für sie ist die »linke« Kritik an der Marktwirtschaft immer nur eine Gerechtigkeitsfrage, die von ihnen als »Neiddebatte« abgetan wird, weil ihnen die neoklassische VWL – de facto ihre Rechtfertigungs-Ideologie – versichert, daß jede Verteilung durch den Markt »effizient« ist, und jede Umverteilung »ineffizient« und damit auch irgendwie ungerecht ist. Die neoliberale Marktwirtschaft ist aber nicht nur »ungerecht« (und das ist sie!), sondern sie ist auch »ineffektiv« [sic!], d.h. sie produziert für alle weniger Reichtum, als eine sozial moderierte Gesellschaft, d.h. auch für die Reichen ist eine moderierte Wirtschaftsordnung besser.

Samstag, 11. April 2009

Die Frage der Verteilung (und die Steuerlast)

Es gibt zum Glück Ökonomen, die den Kern der gegenwärtigen Krise erkennen, wie z.B. Jean-Paul Fitoussi, der von Thomas Fricke in dessen FTD-Blog »Wirtschaftswunder« interviewt wird. Sehr lesenswert! Fitoussi äußert sich in dem Interview »Jean-Paul Fitoussi zur Finanzkrise« u.a. so:
»Der Kern des Problems liegt darin, dass weltweit zu viel gespart worden ist, nicht zu wenig. Und dieses Problem ist dadurch entstanden, dass es über zweieinhalb Jahrzehnte eine Umverteilung der Einkommen von unten nach oben gab. Damit haben jene plötzlich viel mehr Geld gehabt, die angesichts der Höhe ihres Einkommens ohnehin nur einen relativ kleinen Teil ihres Geldes ausgeben und einen hohen Teil sparen.«
Überhaupt nicht lesenswert sind hingegen die dümmlichen Titel zu den – nicht besonders ausgegorenen – Plänen der SPD, die Steuern im mittleren bis oberen Einkommensbereich anzuheben, z.B.
»SPD plant Wahlkampf gegen Reiche« (Zeit)
oder
»SPD macht Wahlkampf gegen ›Reiche‹« (Handelsblatt).
Man muß sich vor Augen führen, daß es erstens nicht um Kapitaleinkommen geht, denn diese sind mit der sog. »Abgeltungssteuer« niedrig besteuert. Das allein macht deutlich, daß es – leider! – gar nicht um die Reichen geht. Und zweitens liegt der von der SPD ins Gespräch gebrachte (was ohnehin nicht viel über den tatsächlichen Umsetzungswillen aussagt) Steuersatz niedriger als der zu Zeiten der CDU/FDP-Regierung unter Helmut Kohl.
Hingegen muß ich in die Liste der kritischen Stimmen (vgl. letzter Blog-Eintrag) noch das FAZ-Feuilleton aufnehmen. Dort wurde jüngst ein Artikel über den Ordoliberalismus deutscher Schule bzw. dessen Vertreter Alfred Müller-Armack unter dem Titel »Soziale Marktwirtschaft – Ökonomie als Instrument, nicht als Selbstzweck« veröffentlicht, der von mir ebenfalls das Prädikat sehr lesenswert erhält. Insbesondere die Verteidigung von gesetzlichem Mindestlohn und Vermögensumverteilung durch Besteuerung finden meine ungeteilte Zustimmung.
P.S.:
Zur Abgeltungssteuer muß ich zugeben, daß die Kapitaleigner infolge der Streichung des Halbeinkünfteverfahrens zusätzlich die Körperschaftssteuer tragen (soweit sie dies nicht durch Lohn- und Preisgestaltung auf Arbeiter und Kunden abwälzen können). Mit der Einführung der Abgeltungssteuer wurde allerdings auch diese gesenkt.
P.P.S.:
Immerhin kommt in der »Zeit« nun Harald Schumann (Autor des Buches »Die Globalisierungsfalle«) zu Wort, der im Artikel »SPD-Steuerpolitik – Heuchelei als Prinzip« einige wichtige Punkte benennt.

Dienstag, 7. April 2009

Kritischen Journalismus? Gibt es in den Wirtschaftszeitungen!

Ich muß leider sagen, daß ich vom deutschen Journalismus recht enttäuscht bin. Da ich Italien etwas besser kenne, weiß ich, daß es noch schlimmer geht, aber die deutschen Zeitungen bieten m.E. in politischen und ökonomischen Fragen in der Regel Mittelmaß und/oder unkritische Wiedergabe neoliberalen Mainstreams, wahrscheinlich vorbereitet und vorgekaut von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die bekanntlich eine PR- bzw. Werbekampagne des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall ist. Vor allem gibt es kaum pointierte Diskussionen zwischen widerstreitenden Positionen oder gar deren journalistische Aufarbeitung.
Ganz anders hingegen – die Wirtschaftszeitungen, womöglich inspiriert durch die angelsächsische Art, sich immer auch ein paar Quälgeister und Querdenker zu halten. Neben der Financial Times Deutschland, in welcher immer wieder neben Vertretern der herrschen neoklassischen/neoliberalen Denkrichtung auch diesbezüglich kritische Beiträge erscheinen, gibt es auch im Handelsblatt immer wieder interessante Beiträge zu ökonomischen Themen, die die gewohnten Denkmuster hinterfragen.
Zuletzt positiv aufgefallen ist mir die durchaus lesenswerte und am Original orientierte Artikelreihe über John Maynard Keynes. Besonders gefallen hat mir der Artikel »Der Kern von Keynes«. Ganz unabhängig davon, ob man Keynes’ Theorien nun anhängt oder nicht, ist es von Interesse, was er denn eigentlich gesagt hat. Danke, Handelsblatt!

Montag, 6. April 2009

The Frontier of Nonsense

Die Kritik an der Beschränktheit der neoklassischen Volkswirtschaftslehre ist alt. John Maynard Keynes beschrieb den traurigen Zustand seiner Zunft in seiner »Allgemeinen Theorie« (1936) mit folgenden Worten:
»Die Anschauung, daß wir die Funktion gesamten Nachfrage ohne weiteres übersehen können, bildete die Basis der Wirtschaftslehre von Ricardo, die dem, was man uns über ein Jahrhundert lang gelehrt hat, zugrunde liegt. Malthus hat zwar Ricardos Doktrin, daß die wirksame Nachfrage unmöglich unzureichend sein könne, heftig bekämpft, aber umsonst. Weil nämlich Malthus nicht deutlich erklären konnte (von einer Berufung auf allgemeine Erfahrungstatsachen abgesehen), wie und warum die wirksame Nachfrage unzureichend oder übermäßig sein könne, mißlang ihm die Bereitstellung eines alternativen Aufbaus, und Ricardo hat England so vollständig erobert wie die Heilige Inquisition Spanien. Nicht nur wurde seine Theorie von der City, von Staatsmännern und von der akademischen Welt angenommen, sondern der wissenschaftliche Streit nahm ein Ende; der andere Standpunkt verschwand vollkommen; man hörte auf, ihn zu erörtern. Das große Rätsel der wirksamen Nachfrage, mit dem Malthus gerungen hatte, verschwand aus der wirtschaftlichen Literatur. Man wird sie [sic!] in den gesamten Werken von Marshall, Edgeworth und Prof. Pigou, die der klassischen Theorie ihre reifste Verkörperung gaben, auch nicht ein einziges Mal nur erwähnt finden. Sie konnten nur verstohlen unter der Oberfläche weiterleben, in den Unterwelten von Karl Marx, Silvio Gesell oder Major Douglas.« — Keynes, Allgemeine Theorie, 9. A. 2002, S. 27 f.
Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die Verhältnisse in der VWL, sowohl was die Modellbildung, als auch was die Streitkultur betrifft.
In bestimmten Fachkreisen zirkuliert solche Kritik schon lange. Vgl. zur Modellbildung Ortlieb (Mathematiker): »Methodische Probleme und methodische Fehler der mathematischen Modellierung in der Volkswirtschaftslehre« (2004) und jüngst zur Streitkultur Keen (Ökonom): »Mad, bad, and dangerous to know« (2009)
Nun erreicht diese Diskussion hoffentlich auch die breitere Öffentlichkeit:
Nachdem bereits ein Artikel im Mainstream-Wissenschaftsmagazin »Nature« unter dem Titel »Economics needs a scientific revolution« (der Verfasser Jean-Philippe Bouchaud ist nicht Ökonom, sondern Physiker) die Modellbildung kritisiert hatte, wendete sich nun die »New York Times« unter dem Titel »Economics Professors Are Unshaken by Financial Crisis« den Verhältnissen, nämlich der mangelnden Realitätsnähe in der VWL zu.
Um noch einmal Keynes zu zitieren: Man sollte es vorziehen …
»[…] lieber die Wahrheit unklar und unvollständig zu sehen, als Irrtum aufrechtzuerhalten, der zwar mit Klarheit, Konsequenz und billiger Logik erreicht wurde, aber doch auf Grund von Hypothesen, die den Tatsachen nicht angepaßt [sind].« – Keynes, a.a.O., S. 313
Damit beschreibt Keynes in höflichen Worten im Grunde genommen nichts anderes als die wissenschaftliche Methode.

Freitag, 3. April 2009

„Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.“

Immer wieder wird das Argument zu Felde geführt, „wir“ hätten „über unsere Verhältnisse gelebt“. Zuletzt verwendet Bundespräsident Horst Köhler dieses Argument in seiner „Berliner Rede“ vom 24. März 2009:
Jetzt führt uns die Krise vor Augen: Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt.
Eine schöne Replik hierauf schrieb Carl-L. Holtfrerich am 31. März im FTD-Blog „Wirtschaftswunder“ unter dem Titel „Mit Verlaub, Herr Präsident: Wer ist ‚Wir‘?“. Darin verweist Holtfrerich zurecht auf die Tatsache, daß die Lohnentwicklung in Deutschland seit Jahren weit unter der Produktivitätsentwicklung liegt und daß Deutschland einen gigantischen Außenhandelsüberschuß erwirtschaftet.
Dabei äußert sich Holtfrerich auch zur Staatsverschuldung:
Für „Wir alle“ blieb dem Bundespräsidenten nur ein einziger Anknüpfungspunkt: die gestiegene Staatsverschuldung, für die alle Steuerzahler den Schuldendienst aufbringen müssen. Aber ein Anstieg der Staatsverschuldung bedeutet nur dann, dass die Bevölkerung heute über ihre Verhältnisse und zu Lasten zukünftiger Generationen lebt, wenn daraus nicht Investitionen in die Zukunft finanziert werden.
Damit allerdings geht Holtfrerich fehl. Selbst die Verschuldung zum Zwecke des Konsums führt für sich allein betrachtet nicht dazu, daß eine Gesellschaft „über die eigenen Verhältnisse“ lebt.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig in der Ökonomie das Wesen des Kredits (also das Wesen von Schulden) beachtet (oder verstanden?) wird. Ein Kreditvertrag enthält ein Schuldversprechen. D.h. eine Person (die Schulderin) verspricht einer anderen Person (der Gläubigerin), in der Zukunft etwas zu leisten. Befinden sich sowohl Gläubigerin als auch Schuldnerin innerhalb einer Gruppe, so ist diese Gruppe als ganzes überhaupt nicht verschuldet. Es bestehen lediglich innerhalb der Gruppe Ansprüche und Verbindlichkeiten einzelner Personen.
So ist das auch mit Generationen, d.h. den innerhalb einer Zeitspanne lebenden Personen. Schulden werden vererbt – und ebenso die dazu gehörigen Forderungen. D.h. die Staatsverschuldung ist ein Verteilungsproblem innerhalb einer Generation und kein Verteilungsproblem zwischen den Generationen.